Vom Symptom zur Diagnose

Wohin geht die Reise im deutschen Gesundheitswesen?

2002 +++ Jörg-Dietrich Hoppe +++ Quelle: Deutsches Ärzteblatt 29. November 2002

Auszüge:

Das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist existenziell bedroht; mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln sind die notwendigen Leistungen nicht mehr zu erbringen. Das deutsche Gesundheitswesen ist in Lebensgefahr – so muss heute die ehrliche Diagnose lauten.

Rot-Grün präferiert die staatliche Steuerung

... Option, nämlich die erneuerte, das heißt sektorübergreifende Selbstverwaltung als Weiterentwicklung eines bürgernahen und solidarischen Gesundheitswesens.

Die Einführung der Listenmedizin über Disease-Management-Programme (wörtlich übersetzt: Krankheitshandhabungsvorschriften) für chronisch Erkrankte soll im Endausbau etwa 80 Prozent des gesamten Leistungsgeschehens in der Gesetzlichen Krankenversicherung umfassen, was trotz aller gegenteiligen Beteuerungen de facto die subtotale Einschränkung der tradierten Therapiefreiheit für Patienten und Ärzte bedeutet.

Die beabsichtigte gesetzliche Etablierung so genannter "unabhängiger" nationaler Institute,... führt die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Leistungserbringern ad absurdum und bedeutet letztlich eine Bankrotterklärung der Gesundheitspolitik.

Entsprechend werden die Kassenärztlichen Vereinigungen aus ihrer bisherigen in der Selbstverwaltung mitgestaltenden Funktion entlassen und in eine Auftragsadministration mit der wesentlichen Funktion der Mitgliederdisziplinierung überführt.

Die Gesamtsymptomatik kann nur als Paradigmenwechsel von einem freiheitlichen Gesundheitswesen mit politischer Rahmengesetzgebung und Ausgestaltung durch die Selbstverwaltung zu einem stark staatlich gesteuerten und durchökonomisierten Gesundheitswesen mit erheblicher Reduzierung von Freiheiten für alle Akteure interpretiert werden.

Verunglimpfung von Ärzten – ein Ablenkungsmanöver

Misstrauen verbreiten und Neidkomplexe durch so genannte Abrechnungsskandale schüren – das sind Strategien, mit denen die Therapiefreiheit in der medizinischen Behandlung durch das staatsmedizinische Prinzip ersetzt werden soll.

Wie in vielen ähnlich staatsmedizinisch strukturierten Ländern wird sich ein "grauer Markt" im Gesundheitswesen entwickeln, der für die Besserverdienenden eher zugänglich sein wird als für Schlechterverdienende. Menschlichkeit und medizinischer Fortschritt werden zum Luxus einer Zweiklassenmedizin.

Wir stehen in Deutschland somit nicht nur vor einer Systemänderung, sondern vor einem Kulturwandel im Gesundheitswesen.