Ist der „EBM 2000 plus“ europatauglich?

Formale und inhaltliche Gründen sprechen gegen seine Einführung

2002 +++ Jost Brökelmann +++

1. Formale Gründe

Nach deutschem Recht ist die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Institution des öffentlichen Rechts und konnte als solche bisher eine Gebührenordnung vorschlagen, die dann im Bewertungsausschuss, einem gemeinsamen Organ von KBV und Bundesverbänden der Krankenkassen, beschlossen werden musste. Nach europäischem Kartellrecht sind die Kassenärztlichen Vereinigungen jedoch Unternehmen im Sinne des Artikel 85 EG-Vertrag und dürfen als solche keine Gebührenordnungen erstellen. Dieses hat der europäische Gerichtshof am Beispiel des Verbandes der italienischen Zollspediteure in der Rechtssache 513/93 vom 30. März 2000 entschieden.

Auszüge:

„Der Begriff des Unternehmens im Sinne des Artikels 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.

„Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.

„Da die Tätigkeit der Zollspediteure eine wirtschaftliche Tätigkeit ist und die Zollspediteure daher als Unternehmen im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) zu gelten haben, ist ihre berufsständische Vertretung als Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag anzusehen, ohne dass ihre öffentlich-rechtliche Stellung der Anwendung dieser Vorschrift entgegenstehen könnte.

„Können im übrigen die Mitglieder einer solchen Einrichtung nach nationalem Recht nicht als unabhängige Sachverständige qualifiziert werden und sind sie nicht verpflichtet, bei der Gebührenfestsetzung nicht nur die Interessen der Unternehmen oder der Unternehmensvereinigungen, die sie vertreten, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit und die Interessen der Unternehmen anderer Sektoren oder derjenigen, die die betreffenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen, zu berücksichtigen, so sind die Beschlüsse, mit denen diese Einrichtung die Gebühren für berufsständische Leistungen festlegt, keine staatlichen Entscheidungen, mit denen sie öffentliche Aufgaben wahrnimmt, sondern Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung, die den Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfüllen können.“

Kürzlich hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen bekräftigt, dass alle Leistungen der Krankenkassen den Artikeln 85 und 86 des EU-Vertrages (Wettbewerb) unterliegen, es sei denn, sie seien gesetzlich festgelegt (Kom (2001) 723 vom 05.12.2001).

Fazit: Nur gesetzliche Gebührenordnungen unterliegen nicht europäischem Kartellrecht.

Weil dieses so ist, hat das Europäische Parlament empfohlen, dass alle Mitgliedstaaten amtliche Gebührenordnungen für Freiberufler erstellen (Beschluss B5-0247/2001 vom 05/04/2001).

Deutschland hat schon eine amtliche Gebührenordnung für Ärzte, nämlich die GOÄ, die für alle ärztlichen Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gilt. Die letzte Novellierung der GOÄ liegt fast 10 Jahre zurück. Die GOÄ ist also veraltet und muß dringend überarbeitet oder neugestaltet werden.

Die zweite ärztliche Gebührenordnung in Deutschland ist der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) der GKV. Für den EBM gilt jedoch, dass er keine gesetzliche (staatliche) Gebührenordnung ist und deshalb europäischem Kartellrecht unterliegt. Die KBV oder der Bewertungsausschuss dürfen als „Unternehmen in europäischem Sinne“ also gar nicht mehr eine Gebührenordnung erstellen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass die deutsche Bundesregierung eine neue amtliche Gebührenordnung erarbeitet, die sowohl die bisherige GOÄ als auch den EBM zusammenführt.


2. Inhaltliche Gründe

Der „EBM 2000 plus“ ist eine Neuschöpfung der KBV und wurde bislang nicht in der Praxis ausprobiert. Er basiert auf Komplexgebühren, die im Jahre 1997 von den einzelnen Berufsverbänden vorgeschlagen wurden. Diese Gebührenordnung müsste sich in Pilotprojekten bewähren, bevor sie flächendeckend eingesetzt wird. Eine Einführung ohne Bewährungsprobe zum 1.01.2003 wäre ein riskantes Unternehmen mit finanziellen Risiken besonders für die Vertragsärzte.

Es fragt sich, ob es nicht alternative, bewährte Gebührenordnungen gibt, die die Bundesrepublik als amtliche Gebührenordnung einführen sprich einkaufen könnte.

Da gibt es einmal die US-Gebührenordnung „RBRVS“ (www.rbrvs.com) oder Relativwertskala (RVU). Sie wurde seit 1986 vorbereitet und 1992 vom amerikanischen Kongress US-weit eingeführt. Die RVU-Gebührenordnung basiert auf einer Ordnung der Prozeduren (cpt = current procedural terminology) der American Medical Association. Die Relativwerte werden auf Vorschlag der Fachverbände jährlich von einem Ausschuss des Kongresses überarbeitet. In den jeweiligen Relativwert der einzelnen Prozeduren gehen Operationszeit, Sachkosten, Haftpflichtkosten und Schwierigkeit der Operationsdurchführung ein.

Eine andere Gebührenordnung ist TARMED 1.1. der Schweiz (www.tarmed.ch). Diese Gebührenordnung wurde von einem Wirtschaftsunternehmen erstellt und von der Schweizer Bundesregierung umgesetzt. Sie benutzt keinen international anerkannten Prozedurenschlüssel und ist modular aufgebaut. Zum Beispiel ist ein Basismodul die operative Laparoskopie; zusätzlich zu diesem Modul können verschiedene Teiloperationen (Module) abgerechnet werden. TARMED 1.1 gilt seit einem Jahr, die praktischen Erfahrungen sind daher kurzfristig.

Bei einem Vergleich der einzelnen Gebührenordnungen anhand der Laparoskopien wird deutlich:


3. Diskussion

Die Geschichte der Gebührenordnungen in Deutschland ist typisch für den deutschen Korporatismus: Staatliche, halbstaatliche und private Institutionen und Verbände bringen es fertig, dass sowohl EBM als auch GOÄ seit Jahren nicht reformiert wurden und damit völlig veraltet sind. Dadurch haben die Deutschen den Anschluss an die internationale Entwicklung auf dem Gebiet der Gebührenordnungen verpasst. Sie haben sich auch nicht um geltendes EU-Recht und um existierende Empfehlungen des europäischen Parlamentes gekümmert. Allein die Vorarbeiten für eine neue Gebührenordnung erfordern viele Jahre, wie man aus der Geschichte der amerikanischen RVU weiß. Diese Zeit haben wir Deutsche jetzt nicht mehr. Deshalb bleibt für Deutschland wahrscheinlich nur übrig, eine schon bewährte Gebührenordnung einzukaufen, wie es mit den DRGs und den Daten von tarmed schon geschehen ist. Es wäre also dringend notwendig, dass die Bundesregierung umgehend eine unabhängige Fachkommission beauftragt, einen Vorschlag für eine neue amtliche Gebührenordnung zu erarbeiten. Diese Kommission müsste sich international umsehen, welche Erfahrungen in den jeweiligen Ländern mit Gebührenordnungen gemacht wurden.

Wir Deutschen gebrauchen eine amtliche Gebührenordnung (GBO), die u.a. folgende Kriterien erfüllt:

  1. Einteilung gemäß einem erprobten und anerkannten Prozedurenschlüssel
  2. Betriebswirtschaftliche Berechnung der durchschnittlichen Praxiskosten für die einzelnen Leistungen
  3. Steigerungsmöglichkeiten für besonders schwierige ärztliche Leistungen
  4. Jährliche Überarbeitung der GBO durch eine Fachkommission und Verabschiedung der GBO durch den Bundestag
  5. Kompatibilität innerhalb von Europa


4. Anhang

Tab. 1: Vergütung der Laparoskopie im EBM

EBM

 

Punktzahl

1150

Operation an den Adnexen einer Seite und/oder an der Gebärmutter durch vaginale oder abdominale Eröffnung der Bauchhöhle oder durch Laparoskopie/Pelviskopie

1700

1151

Zuschlag zu den Leistungen nach den Nrn. 1128, 1138 oder 1150 bei zusätzlichen Operationen an den Adnexen der anderen Seite und/oder bei Appendektomie und/oder für zusätzlich durchgeführte Sterilisation mittels Eingriff an den Eileitern

  900


Tab. 2: Vergütung der Laparoskopie in der GOÄ

GOÄ

 

Punktzahl

1155

Pelviskopie mit Anlegen eines druckkontrollierten Pneumoperitoneums und Anlagen eines Portioadapters – gegebenenfalls einschließlich Probeexzision und/oder Probepunktion

800

1156

Pelviskopie mit Anlegen eines druckkontrollierten Pneumoperitoneums und Anlagen eines Portioadapters einschließlich intraabdominaler Einfriffe – gegebenenfalls einschließlich Probeexzision und/oder Probepunktion

1050

1145

Ovarektomie, Ovariotomie, Salpingektomie, Salpingotomie, Salpingolyse und/oder Neostomie durch vaginale oder abdominale Eröffnung der Bauchhöhle, einseitig

1660

1146

Ovarektomie, Ovariotomie, Salpingektomie, Salpingotomie, Salpingolyse und/oder Neostomie durch vaginale oder abdominale Eröffnung der Bauchhöhle, beidseitig

2220


Tab. 3: Vergütung der Laparoskopie laut cpt/RVU (USA 2000)

Cpt*

 

   RVU*

49320

diagnostische Laparoskopie (dL), mit/ohne Abstriche

9.44

49321

dL mit Biopsie

10.06

49322

dL mit Zystenpunktion

10.45

58670

operative Laparoskopie (OL) mit Koagulation der Eileiter (mit/ohne Durchtrennung)

10.22

58671

OL mit Tubenverschluss mittels Clip oder Ring

10.52

58662

OL mit Koagulation oder Exzision von Läsionen des Ovars, der Eingeweide o. des Peritonealüberzugs (jede Methode)

18.33

58660

OL mit Adhäsiolyse

18.02

58661

OL mit Entfernen von Adnexstrukturen (partielle/totale Ovarektomie u./o. Salpingektomie

18.28

58550

OL mit vaginaler Hysterektomie mit o. ohne Entfernung der Tuben, mit/ohne Entfernung d. Ovarien (lap. assist. vag. Hysterektomie)

23.59

58551

OL mit Entfernen von subserösen Myomen (ein- oder mehrfach)

21.12

38570

OL mit Entfernen von retroperitonealen Lymphknoten (ein- oder mehrfach)

15.80

38571

OL mit totaler bilateraler pelviner Lymphadenektomie

20.49

58672

OL mit Fimbrioplastik (einseitig)

19.81

59150

Laparoskopische Behandlung einer Extrauteringravidität, EU, ohne Salpingektomie und/oder Ovarektomie

11.85

59160

OL, EU, mit Salpingektomie und/oder Ovarektomie

15.13

38572

OL mit bilateraler totaler pelviner Lymphonodektomie u. peri-aortaler Lymphonodektomie

23.85

58673

OL mit Salpingostomie

21.08

44200

OL Darm-Adhäsiolyse (selbständige Leistung)

23.77

44970

OL Appendektomie

14.35

58180

suprazervikale Hysterektomie, mit/ohne Entfernung der Tuben oder Ovar

25.41

51990

OL Urethralsuspension bei Stressinkontinenz

19.31

*Bemerkung: RVU= relative value unit = Relativwert, cpt = current procedural terminology


Tab. 4: Vergütung der Laparoskopie laut TARMED (Schweiz)

TARMED 1.1

 

     RB*     (Min.)

     TL*

22.0360

Gynäkologische Laparoskopie/Pelviskopie, therapeutisch

30

292.60

22.0370

+ Zuschlag für Einlage und Fixation eines intrauterinen Perfusionssets und/oder Führungsinstruments

17

165.81

 

 

22.0380

+ Zuschlag für Biopsie bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

5

48.77

22.0390

+ Zuschlag für Durchtrennung strangförmiger Adhäsion bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

8

78.03

22.0400

+ Zuschlag für Durchtrennung flächenhafter Adhäsion bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

38

370.63

22.0410

+ Zuschlag für Sterilisation bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

10

97.53

22.0420

+ Zuschlag für Behandlung bei Endometriose Grad I und Grad II bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie, jede Methode

30

292.60

22.0430

+ Zuschlag für Behandlung bei Endometriose Grad III und Grad IV bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie, jede Methode

90

877.80

22.0440

+ Zuschlag für Behandlung von rektovaginaler Endometriose bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

120

1170.40

22.0450

+ Zuschlag für Zystenpunktion/Zystenfenestration bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

12

117.04

22.0460

+ Zuschlag für Chromopertubation bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

10

97.53

22.0470

+ Zuschlag für organerhaltende Tumorentfernung bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

60

585.20

22.0480

+ Zuschlag für Hysterektomie bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

120

1170.40

22.0490

+ Zuschlag für subtotale Hysterektomie bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

110

1072.86

22.0500

+ Zuschlag für Myomektomie bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie, pro Myom

40

390.13

22.0510

+ Zuschlag für Gewebemorcellement und Extraktion bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

40

390.13

22.0520

+ Zuschlag für Kolposuspension bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

60

585.20

22.0530

+ Zuschlag für therapeutische Lavage bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

25

243.83

22.0540

+ Zuschlag für vaginale Drainage eines peritonealen Abszesses/Blutung bei einer gynäkologischen Laparoskopie

20

195.07

22.0550

+ Zuschlag für therapeutische Drainage bei transabdominaler, gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie

15

146.30

*RB = Raumbelegung, TL = Total-Leistung


Tab. 5: Vergütung der Laparoskopie laut "EBM 2000 plus"

EBM 2000 plus

 

RB* (Min.)

Gesamt (Punkte)

3242

Gynäkologisch-operativer Leistungskomplex II

        Laparoskopie, -tomie zur gynäkologisch-operativen intraabdominellen Diagnostik

50

4910

3244

Gynäkologisch-operativer Leistungskomplex III

        Laparoskopie, -tomie mit Hysteroskopie und Chromopertubation, Adhäsiolyse, Probeexzision(en) bei Sterilität

        Laparoskopie, -tomie mit Antefixation und/oder sacrospinaler Fixation

        Laparoskopie, -tomie mit ausgedehnter operativer Ausräumung bei Adhäsionen und/oder Endometriose (rAFS mindestens Grad zwei)

        Laparoskopie, -tomie mit partieller und/oder totaler Ovarektomie, Salpingektomie Adnexektomie, Salpingostomie, Salpingoskopie, Fimbrienplastik

97

8445

3246

Gynäkologisch-operativer Leistungskomplex IV

        Laparoskopie, -tomie mit Resektion von Myomen über 4 cm Durchmesser

170

14110

3247

Gynäkologisch-operativer Leistungskomplex V

        Endoskopische Hysterektomie, total oder suprazervikal mit Entfernung der Adnexe

        Endometriose-OP mit Entfernung großer Peritonealareale und Harnleiterpräparation

        Beidseitige tubotubare Anastomose

200

16535

* RB = Raumbelegung