Gesetzesentwurf von Hankel und Schachtschneider für ein neues Gesundheitssystem

Zusammenfassung

2002 +++ Hankel/Schachtschneider +++ Quelle: www.facharzt.de vom 06.09.2002

Das in Deutschland praktizierte System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) krankt an seinen inneren Widersprüchen und Konstruktionsmängeln. Seine Finanzierungsbasis stagniert, seit der Anteil der monatlichen Lohneinkommen unterhalb der derzeitigen Pflichtversicherungsgrenze (unter rd. € 3.375 im Einzelfall) am gesamten Volkseinkommen rückläufig ist und zudem auf immer weniger Nachwuchs verteilt werden muß. Wie im System der sozialen Alterssicherung wird die individuelle Belastung junger und relativ gesunder Beitragszahler übergebührlich hoch. Die GKV rechnet sich nicht mehr für junge und neue Beitragszahler. Andererseits ist ihnen der Austritt aus diesem sie ausbeutendem System gesetzlich untersagt.

Drei Konstruktionsfehler verurteilen das GKV-System zu wachsender Ineffizienz. 

Erstens: Obwohl das GKV-System 90 % der Bevölkerung erfaßt, grenzt es den reichsten Teil der Bevölkerung und die dynamischsten Segmente des Volkseinkommens aus, nämlich die Einkünfte aus Gewinn und Kapital sowie die der Spitzenverdiener über der Pflichtversicherungsgrenze. Die GKV verzichtet auf Einnahmen, die sie als Volks-Versicherung leicht erzielen könnte. 

Zweitens: Mit der Bindung der Beiträge an das „pflichtige“ Lohneinkommen plus 50%igem Arbeitgeberbeitrag macht die GKV ihre Finanzkraft faktisch von Konjunktur und Lage am Arbeitsmarkt abhängig. Sie ist solange gut „bei Kasse“, wie die Wirtschaft floriert und immer dann zu Leistungskürzungen gezwungen, wenn Arbeitslosigkeit und Lohnausfall drohen. Die Lage am Arbeitsmarkt bestimmt somit das Volumen der Gesundheitsausgaben und nicht mehr der Zustand der Volksgesundheit.

Drittens: Mit dem doppelten Kontrahierungszwang von Patienten und „Kassenärzten“ der GKV gegenüber werden beide entrechtet: Den Patienten wird die Therapie von ihrer Krankenkasse verordnet statt von ihrem Arzt. Der Arzt wiederum verliert einen Teil seiner Therapie sowie seine Honorarbemessungsfreiheit; er wird zum Quasi-GKV-Angestellten. Dem Patienten wird in vielen Fällen die bestmögliche Versorgung vorenthalten, nämlich immer dann, wenn sie der Kasse als „zu teuer“ erscheint. Ärzte werden gezwungen, Therapieentscheidungen unter (Abrechnungs)-Kostenaspekten zu treffen.  Das beeinträchtigt nicht nur ihre Motivation, sich auf dem neuesten Stand des medizinischen Wissens und Könnens zu halten. Auch der medizinische Fortschritt leidet, wenn seine Anwendung zunehmend infrage gestellt wird. Wenn Deutschland als einstiges Spitzenland auf diesem Gebiet deutlich zurückfällt, dann liegt das weniger am Mangel an Forschungskapazitäten als an den fehlenden Möglichkeiten seiner Anwendung und Erprobung.

Unterfinanzierung und Ineffizienz des GKV-Systems bedingen und steigern sich wechselseitig. Der selbstverordnete Finanzierungsengpaß des GKV-System hat zudem die Reformer der Vergangenheit zu dem fatalen Trugschluß verführt, das deutsche Gesundheitssystem sei – u.a. wegen zu hoher ärztlicher Honorarforderungen –überteuert und unwirtschaftlich. Es enthielte eine Fülle „innerer“ Leistungs und Produktivitätsreserven. Es gelte, sie durch eine Politik der Kostendämpfung zu mobilisieren: u.a. durch Druck auf ärztliche Honorare, Leistungskürzungen der GKV und bei aufwendigen Therapien zunehmende Zuzahlung seitens der Patienten. Nach einem Jahrzehnt der erfolglosen, weil auf falscher Diagnose beruhenden, Experimente steht fest: Nicht die Gesundheitsausgaben sind zu hoch, die Einnahmen des staatlich dirigierten GKV-Systems sind zu niedrig!

Hinzu kommt, daß diese Einnahmen wegen der fatalen Lage am Arbeitsmarkt weder laufend und bedarfsgerecht erhöht werden können noch es dürfen, sollen die Beschäftigungsprobleme der deutschen Volkswirtschaft nicht noch prekärer werden.

Das GKVSystem entlarvt sich damit als Problemverstärker am Arbeitsmarkt wie im Gesundheitswesen. Es stellt die sowohl mit der Arbeitsmarkt wie mit der Gesundheitspolitik verfolgten sozialen Ziele infrage und macht den Sozialstaat in den Augen der Öffentlichkeit unglaubwürdig.

Der deutsche Sozialstaat ist weder „zu teuer“ noch „unfinanzierbar“, wie immer wieder (und zu Unrecht) behauptet wird.  Er ist jedoch – und zwar unnötigerweise –falsch und im Bezug auf die junge Generation auch noch unsolidarisch und ungerecht finanziert.

Der Anstieg der Gesundheitsausgaben ist in einer Gesellschaft alternder Menschen mit (gottlob noch immer) hohen Raten des medizinischen Fortschritts ebenso natürlich wie unvermeidlich. Ältere Menschen brauchen mehr medizinische Versorgung und nicht weniger und verfügen in der Regel auch über die Mittel, sie sich leisten zu können, notfalls unter Verzicht auf andere, weniger dringliche Ausgaben. Und: Medizinischer Fortschritt kostet forschungs- und entwicklungsbedingt nicht weniger Geld, sondern mehr. Dieses ist, angesichts der Bereitschaft gerade älterer Menschen, mehr Geld in ihre Gesundheit zu investieren, auch durchaus vorhanden.  Daher ist eine Kostendämpfungspolitik im Gesundheitswesen – noch dazu zu Lasten Dritter, nämlich der unersetzlichen Leistungserbringer (Ärzte plus Pflegepersonal) – ebenso inhuman wie kontraproduktiv. Wenn Ärzte gezwungen werden, Ausgabenbudgets einzuhalten und Gratisleistungen zu erbringen, wird das hier bestehende Produktivitätspotential nicht gehoben, sondern vernichtet. Wenn Patienten immer größere Teile ihrer Therapien und Kuren, weil von der GKV-Finanzierung ausgenommen, selber bezahlen müssen, wird das System dadurch weder effizienter noch schlanker; es leistet seinen Offenbarungseid lediglich auf Raten. Der Krankenschein hat im letzten Jahrzehnt mehr an medizinischer Kaufkraft verloren als DM oder € – und zwar zulasten der betrogenen Patienten und ihrer entrechteten Ärzte.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann ein solches „System“ kollabiert. Es zwingt, weil es erkennbar immer weniger leistet und leisten kann, immer mehr Beitragszahler in teure Zusatzversicherungen und veranlaßt sie als Wähler, denjenigen politischen Parteien eine Absage zu erteilen, die sich seiner Reform widersetzen oder versuchen, diese mit ungeeigneten Teil und Zwischenlösungen auf den St.  Nimmerleinstag zu verschieben.

Denn eines ist klar: Effizienz, Beitragsgerechtigkeit und sichere Finanzierungsgrundlagen im deutschen Gesundheitswesen können nicht mehr durch Reparaturen oder Flickschustereien am alten System zurückgewonnen und für die Zukunft garantiert werden. Das alte System kann nur durch ein neues –marktwirtschaftliches – ersetzt werden.

Es gilt darum, einen ebenso leistungsfähigen wie dynamischen Gesundheitsmarkt zu schaffen mit dem Ziel, Patienten und Kranken eine bezahlbare Qualitätsmedizin und Ärzteschaft wie Pflegepersonal wieder eine leistungsgerechte Bezahlung zu verschaffen. Wie die Erfahrungen in anderen Ländern innerhalb und außerhalb der EU bestätigen, würde ein solcher Markt – der größte Dienstleistungsmarkt der Volkswirtschaft – über seine dann ungebremste Ausweitung Millionen neuer Arbeitsplätze in den Heilberufen und zentren entstehen lassen. Die Schaffung dieses Marktes wäre ein ebenso verläßliches wie durchschlagendes volkswirtschaftliches Beschäftigungsprogramm.

Die im Folgenden vorgeschlagene Überführung des öffentlichrechtlichen deutschen Gesundheitswesens in ein System der allgemeinen, aber privaten Krankenversicherungspflicht für alle Deutschen (einschließlich Unternehmer, Manager, freier Berufe) bei individuell freier Wahl von Krankenkasse und -tarif würde nicht nur die unerträglichen Kassen- und Klassenschranken in der medizinischen Behandlung und Versorgung der Bevölkerung („Zwei-Klassen-Medizin“) beseitigen, sondern auch aus allen Kranken Privatpatienten machen. Der freie Zugang zu allen im Lande verfügbaren Heilangeboten und Therapien brächte zudem einen Qualitätsschub im medizinischen Heil- und Therapieangebot.  Er würde über den mit ihm verbundenen härteren Wettbewerb den Leistungsstandard von Ärzten und Krankenhäusern deutlich anheben und trotzdem die den Arbeitsmarkt belastenden Lohnnebenkosten substantiell senken.

Die neue soziale Marktwirtschaft im Gesundheitswesen ist weder „zu teuer“, noch belastet sie einseitig den Faktor Arbeit. Sie stützt sich auf alle in der Volkswirtschaft verfügbaren Finanzierungsressourcen: das gesamte Wertschöpfungs und Einkommenspotential (Volkseinkommen) sowie die bei Bedarf auflösbaren Altvermögen (Altersrücklagen) der Bevölkerung. Obwohl Pflichtversicherung, und insoweit Fortschreibung des alten gesetzlichen Krankenversicherungssystems, öffnet sie sich Marktwirtschaft und Wettbewerb.  Insoweit erfüllt sie jedwede Pflichtversicherungsgrenze à la GKV.  Dieser bedarf es in der neuen privaten Volksversicherung nicht mehr.

Der Übergang vom alten zum neuen System belastet weder den Staat noch den Steuerzahler. Das alte öffentlichrechtliche (Zwangs)-Umlage-System läßt sich nahtlos in das neue privatrechtliche überführen. Dieser Akt der Privatisierung mag jede Menge rechtlicher Probleme aufwerfen, aber keine Staat und Öffentlichkeit berührenden finanziellen. Mit dem Übergang zum privaten Versicherungsmodus entschärft sich auch der Streit zwischen den Anhängern eines „sozialistischen“ Umlageverfahrens und denen einer „kapitalistischen“ Kapitaldeckung. Im versicherungsmathematischen Kalkül der „richtigen“ Prämienbemessung löst er sich buchstäblich auf.

Offen muß bleiben, ob die Überführung der GKV in den Wettbewerb und gegebenenfalls in private Hände die Kosten (Prämien) der Krankenversicherung erhöht – oder nicht.  Eine „Kostenexplosion“ kann schon deswegen ausgeschlossen werden, weil ja auch der Wettbewerb „explodiert“ und mit der Privatisierung des deutschen Gesundheitsmarktes seine Europäisierung einhergeht: Der deutsche Gesundheitsmarkt wird Teil des EUweiten gemeinsamen Versicherungsmarktes.  Wie Deutschlands öffentlichrechtliche Landesbanken und Sparkassen verlieren auch die öffentlichrechtlichen GKVen ihre nationalen Privilegien und Standortvorteile.

Wie einstens Ludwig Erhards Abschaffung der Zwangswirtschaft in Deutschland ein Wirtschaftswunder auslöste, würde das Ende der ZwangsKrankenversicherung für die Masse der arbeitenden Bevölkerung ein „Wunder“ in ihrer medizinischen Versorgung bewirken: Sie würde besser, billiger – und gerechter angeboten und vermittelt werden.

Einmal mehr würde sich zeigen, daß ein Markt (einmal geschaffen) weit wirksamer soziale Schranken abbaut als ein noch so „soziales“ System, das diese schon aus nacktem Selbstinteresse konserviert. Es darf sich ja nicht selber überflüssig machen!

Daher ist der hier vorgelegte Gesetzentwurf nicht nur ein Beitrag zur Gesundheitsreform. Er verstärkt die Chancen der deutschen Gesellschaft, mit den einschneidensten Veränderungen unserer Zeit fertig zu werden: mit Alterung, den neuen Formen und Gefahren der Arbeitswelt (Teilzeitarbeit, Arbeitslosigkeit, neuer Selbstständigkeit) mit Europa (Binnenmarkt, Gemeinschaftswährung) und den Herausforderungen der Globalisierung. Je eher Regierung und Gesetzgeber die Schlüsselrolle des Gesundheitsmarktes bei der Bewältigung all dieser Probleme erkennen, desto schneller und nachhaltiger werden sie sich lösen lassen.