SPD: "Klassische" nationale Gesundheitspolitik stünde vor einem Trümmerhaufen
2001 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle:ambulant operieren 1/2001, 31
In einer jetzt veröffentlichten Arbeit von P. Schmidt,
Gesundheitspolitischer Referent der SPD-Bundestagsfraktion, unter dem Titel
"Das Deutsche Gesundheitswesen im Europäischen Wettbewerb" (RPG
7:4 (2001) schreibt Schmidt zutreffend, worum es bei der Reform des deutschen
Gesundheitswesens geht: Auf der einen Seite stehen die Befürworter des
europäischen Wettbewerbsprinzips in Gestalt der Grundfreiheiten und des
Kartellrechts, auf der anderen Seite die Befürworter des "deutschen Sonderweges"
in Form des Korporatismus und das Sachleistungsprinzips. Zitat: "Urteile zum Sachleistungsprinzip, das für das deutsche
Gesundheitswesen konstitutiv ist, stehen noch aus (Anm.: Der Artikel wurde offenbar
vor dem 12. Juli 2001, dem Datum der Entscheidung des EuGH, geschrieben). Nicht
nur die Politik erwartet diese Urteile mit höchster Spannung. Sie können
eine fundamentale Weichenstellung vornehmen. Wenn das Sachleistungsprinzip
hinter die Grundfreiheiten zurückzutreten hätte, stünde die klassische
nationale Gesundheitspolitik vor einem Trümmerhaufen. Unser gesamtes Leistungsrecht
wäre in Frage gestellt und müsste wohl durch das Kostenerstattungssystem
ersetzt werden. Zwischenzeitlich hat aber der Europäische Gerichtshof
am 12. Juli 2001 (Rechtssache C-157/99) entschieden: Das Sachleistungsprinzip
der deutschen GKV muss hinter die Grundfreiheiten zurücktreten. Der EuGH hat auch sehr eindeutig die deutsche Regierung in
ihre Schranken verwiesen. Dazu einige Auszüge aus dem Urteil: "51) Die deutsche Regierung vertritt ferner die Ansicht,
dass die wesentlichen Strukturprinzipien, die die Erbringung von Leistungen
der medizinischen Versorgung regelten (Anm.: Struktur der GKV in Deutschland),
zur Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherheit gehörten und nicht
unter die vom EG-Vertrag gewährleisteten wirtschaftlichen Grundfreiheiten
fielen, da die Beteiligten nicht selbst über Inhalt, Art und Ausmaß
einer Leistung und deren Vergütung entscheiden können." "52) Keinem dieser Argumente kann gefolgt werden." "61) Nach ständiger Rechtsprechung verstößt
jede nationale Regelung gegen Artikel 59 EG-Vertrag, die die Leistung von Diensten
zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten
im Inneren eines Mitgliedstaates erschwert." Damit hat der EuGH der deutschen Bundesregierung gesagt, dass
sie für ihr Selbstverwaltungssystem keine Ausnahmegenehmigung in Europa
erhalten wird. Es ist schon jetzt die Befürchtung von Herrn Schmidt und
damit der gesundheitspolitischen Kreise der SPD wahr geworden: Die klassische
nationale Gesundheitspolitik steht vor einem Trümmerhaufen. Das gesamte
deutsche Leistungsrecht wird in Frage gestellt und muss durch ein Kostenerstattungssystem
ersetzt werden. Offensichtlich versucht aber die SPD ähnlich wie viele
Vertreter des deutschen GKV-Selbstverwaltungssystems, diese Entwicklung zu negieren
und sie aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten, um erst nach der
Bundestagswahl die dringend notwendige Reform anzugehen. Wir Deutsche sollten uns von der SPD, aber auch von der CDU/CSU
nicht für dumm verkaufen lassen: Unsere politischen Parteien müssen
jetzt, d.h. vor der Bundestagswahl, Farbe bekennen, ob und wie sie unser Gesundheitssystem
europatauglich machen wollen. Dann können wir wählen.