Der Patient/Bürger wünscht Selbstbestimmung
2001 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: unveröffentlichtes Manuskript
Der Bürger wünscht für sich eine höchstmögliche
Sicherheit, die er in unserem Sozialstaat zunächst vom Staat fordert.
Gleichzeitig strebt er nach individuellem Glück und nach individueller
Freiheit bzw. Selbstbestimmung. Dieser Wunsch nach Selbstbestimmung wird durch
eine zunehmende Freizügigkeit innerhalb Europas und der Welt stark gefördert.
Für Arbeit, Selbstbestimmung und Freizügigkeit ist Gesundheit wünschenswert,
deshalb ist Gesundheit ein allgemein stark nachgefragtes Gut. Diese Nachfrage
geht heute weit über eine gesundheitliche Existenzsicherung hinaus und
betrifft in zunehmendem Maße das persönliche Wohlbefinden des Individuums. Bislang sind in Deutschland 90 % der Bevölkerung
in einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert. Nach Meinung der
Leistungserbringer (u.a. Ärzte, Krankenhäuser) reicht das vorhandene
Geld der GKV für die stetig steigende Nachfrage nach Gesundheitsgütern
nicht mehr aus. Der Staat als Verwalter der GKV sieht z. Zt. noch Wirtschaftlichkeitsreserven.
Da die Ausgaben für Gesundheit in allen Industriestaaten unabhängig
von der Organisationsform des jeweiligen Gesundheitswesens steigen, haben
wir es mit einer Verhaltensänderung der Bevölkerung zu tun, die
eine Neuorientierung des Gesundheitswesens über kurz oder lang in allen
Industriegesellschaften notwendig macht. Diese Neuorientierung läuft
auf die Frage hinaus, wie viele der Gesundheitsgüter durch die Gesellschaft
bzw. den Staat finanziert werden sollen und wie viele durch das Individuum,
den Patient bzw. Bürger. Falls wie bei uns die Gesetzliche Krankenversicherung durch
eine Zwangsabgabe finanziert wird, ist es verständlich, daß das
Individuum möglichst viele Gesundheitsleistungen der GKV in Anspruch
nehmen will. Muß der Bürger sich persönlich an Gesundheitsausgaben
beteiligen, wird er eine Güterabwägung vornehmen und auf manche
Leistungen verzichten. Die Neuorientierung im Gesundheitswesen läuft
deshalb auf die Entscheidung hinaus: Gibt man dem Bürger individuelle
Freiheit und damit auch Verantwortung für sich selbst oder hält
man den Bürger unmündig und schreibt ihm vor, was an Gesundheitsleistungen
für seine Zwangsabgabe finanziert wird und was nicht. Das Argument, daß die Bürger auf dem Gebiet des
Gesundheitswesens unwissend sind und deshalb als unmündig eingestuft
werden müssen, zieht nicht; denn mit dem gleichen Argument hätte
man den Bürgern eine Mitsprache bei der Beurteilung der Atomenergie verweigern
können. Offenbar können die Bürger sich auch auf komplizierten
Gebieten schnell schlau machen. Ärzte sind Freiberufler Die niedergelassenen Ärzte sind Freiberufler genauso
wie Rechtsanwälte, Architekten u.ä.; sie sind nicht Angestellte
des Staates, der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Krankenkassen.
Gleichwohl haben die meisten niedergelassenen, freiberuflich tätigen
Ärzte Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, die
wiederum als Selbstverwaltungsorgane para-staatliche Institutionen darstellen.
Dieser vom Grundgesetz geschützte Status des Freiberuflers muß
auch bei einer Neuorientierung des Gesundheitswesens gewahrt sein. Die Ärzte
müssen als Freiberufler u.a. auch mit den Krankenkassen Verträge
über ärztliche Leistungen abschließen können ähnlich
wie sie mit den Berufsgenossenschaften Verträge abschließen. Eine
Beschränkung der Vertragsfreiheit nur auf die para-staatlichen Kassenärztlichen
Vereinigungen ist u.E. verfassungswidrig. Die Verquickung der Interessen freiberuflich
tätiger Ärzte mit den Aufgaben eines para-staatlichen Organs, nämlich
den als Selbstverwaltung deklarierten Kassenärztlichen Vereinigungen,
führte zu einem Januskopf (Hess) und damit zu einer Mißgeburt.
Krankenhäuser, Krankenkassen und Kassenärztliche
Vereinigungen sind para-staatliche Institutionen 85 % der Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen
sind öffentlich-rechtlicher oder gemeinnütziger Natur und damit
(para-)staatlich; nur 15 % haben private Träger. Die Krankenhausbelange
werden deshalb von den Krankenhausträgern, nämlich den Kommunen,
Ländern und Kirchen sowie den Gewerkschaften, die einen Teil der in den
Krankenhäusern beschäftigten Angestellten vertreten, nachhaltig
unterstützt. Bei der Neuorientierung des Gesundheitswesens ist zu berücksichtigen,
daß der überwiegend para-staatliche Krankenhaussektor fast ausschließlich
von den Zwangsabgaben der GKV, einem weiteren para-staatlichen Organ, lebt.
Die Aufsichtskontrolle über beide führt letztlich der Staat. Hier
ist offensichtlich ein großer Bereich para-staatlicher Organisationen
entstanden, in dem unter Kontrolle des Staates die Mittel aus Zwangsbeiträgen
von 90 % der Bevölkerung verwaltet und verbraucht werden. Damit
hat Deutschland de facto ein staatliches Gesundheitswesen für 90 % der
Bevölkerung. Der Staat wünscht Macht Der Staat ist dem Allgemeinwohl und insbesondere der Volksgesundheit
verpflichtet. Für die Erfüllung seiner Aufgaben stehen ihm staatliche
und para-staatliche Institutionen zur Verfügung. In Deutschland heißen
die para-staatlichen Organe Gesetzliche Krankenkassen, Kassenärztliche
Vereinigungen, Ärztekammern und öffentlich-rechtliche sowie gemeinnützige
Einrichtungen. Bezüglich einer Beeinflussung der Volksgesundheit ist
folgendes festzuhalten:
Es ist anzunehmen, daß der Staat die Volksgesundheit
im allgemeinen mehr durch Änderung der allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen
beeinflussen kann als durch Förderung des individuellen Wohlbefindens
im Rahmen einer Gesetzlichen Krankenversicherung. Bezüglich der Neuorientierung des Gesundheitswesens
ist zu fragen, ob der Staat die gesamte gesundheitliche Versorgung von 90 %
der Bevölkerung gesetzlich regeln soll (= staatlicher Dirigismus) oder
nur eine Grundsicherung gewährleistet, die dann konsequenterweise steuerfinanziert
sein sollte. Das Gesundheitswesen ist ein großer Markt, die Krankenhäuser
sind Deutschlands größter Arbeitgeber. Diese Tatsachen rechtfertigen
nicht das Bestreben des Staates, Macht über diesen Markt mittels der
Zwangsabgaben der Bürger auszuüben. Ein staatlicher Dirigismus setzt
nämlich die Unmündigkeit der Bürger voraus. Es ist zu fragen,
ob ein solcher Dirigismus heute in einem sich vereinigenden Europa überhaupt
noch verfassungsgemäß ist. Jedenfalls dürften aus verfassungsrechtlicher
Sicht nur maximal 50 % der Bevölkerung zwangsversichert werden (Sodan). Die Alternative zu staatlicher Zwangsversicherung ist eine
Privatversicherung, die die Risiken außerhalb einer Grundsicherung abdeckt.
Damit werden letztere Risiken in die Eigenverantwortung der Bürger gelegt. Die Wirtschaft folgt dem Effizienzprinzip Die private Wirtschaft folgt dem Effizienzprinzip und hat
sich in den Industriestaaten gegenüber einer staatlich gelenkten Wirtschaft
durchgesetzt, eben wegen dieser Effizienz, d.h. Wirtschaftlichkeit. Es gibt
keine ernsthaften Argumente, daß dieses Effizienprinzip nicht auch für
das Gesundheitswesen gilt, denn dieses stellt einen Wirtschaftsmarkt dar.
Die Einführung von Prinzipien der Wirtschaft bedeutet aber auch, daß
einige demokratische Prinzipien im Gesundheitswesen in Frage gestellt werden
müssen, weil die Wirtschaft eben nicht auf demokratischen Organisationsstrukturen
aufbaut. So wird z.B. die demokratisch gewählte Vertreterversammlung,
die die Politik der Kassenärztlichen Vereinigungen bestimmt, durch einen
auf Jahre gewählten Vorstand ersetzt werden müssen ähnlich
den Strukturen einer Health Maintenance Organisation (HMO). Die Familie stärkt das Individuum Zwischen Individuum und Staat gibt es verschiedene Organisationsformen,
von der Familie über die Kommune und das Land bis hin zur europäischen
Staatengemeinschaft. Eine Stärkung des Individuums wird auch eine Stärkung
der Familie als Kleinstgruppe nach sich ziehen müssen. Neben der Geborgenheit
für das Individuum, z.B. die Kinder, ist die Familie ein großer
Wirtschaftsfaktor (u.a. Erbe) sowie eine Kleingruppe, in der Wirtschaftlichkeit
(Sparsamkeit) geübt werden kann. Gleiche Vergütung für gleiche Leistung
Für eine Neuorientierung des Deutschen Gesundheitswesens
sollen folgende Thesen gelten: