Deutsche Krankenkassen gegen Europa - und wo stehen wir Ärzte?

KVen und Krankenkassen sind Wirtschaftsunternehmen nach EU-Recht. Sie werden den Status einer Selbstverwaltung aufgeben müssen

2001 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: unveröffentlichtes Manuskript

Ein Wetterleuchten verbirgt sich hinter der nüchternen Schlagzeile der Ärzte-Zeitung vom 30.01.01 "Bundeskartellamt hat schwere Bedenken gegen Festbeträge". Ein Wetterleuchten? Hier einige Hintergrundinformationen zu dem herauf- oder abziehenden Gewitter:

Das Bundeskartellamt sagt offen, was die Krankenkassen und der Großteil unserer Sozialpolitiker nicht hören wollen: Die Krankenkassen sind nach europäischem Recht Wirtschaftsunternehmen. Wenn sie Festbeträge für Arzneimittel festsetzen, dann verletzen sie europäisches Recht. Deshalb musste das Bundeskartellamt eingreifen. Deutsche Land- und Oberlandesgerichte haben schon ähnlich entschieden. Aber die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer wollte es einfach nicht wahrhaben. Sie verlegte kurzerhand per Gesetz die Kartellrechtsfragen, die das SGB V betreffen, an die Sozialgerichte. Diese sind bekanntermaßen Verfechter des deutschen Sozialstaates. Aber dieser Schachzug hat der jetzigen Regierung nur einen kurzen Aufschub gebracht. Die Bundesregierung wollte das Problem der deutschen Gesundheitspolitik nicht vor der nächsten Bundestagswahl anpacken, deshalb legte sie die Frage der Festbeträge dem Bundesverfassungsgericht vor. Jetzt wird die Regierung wahrscheinlich doch zu einem schnelleren Umdenken gezwungen. Bundeskanzler Schröder denkt schon an eine Reform ...

Im Klartext heißt die Botschaft, die aus Europa und dem Bundeskartellamt kommt: Deutsche Krankenkassen und auch KVen sind, obwohl halb-staatlich, Wirtschaftsunternehmen und unterliegen europäischem Kartellrecht. Diese Tatsache beendet den Traum vieler deutscher Sozialpolitiker, den deutschen Sozialstaat über sogenannte Selbstverwaltungsorgane staatlich bzw. halb-staatlich verwalten zu lassen. Die Verträge von Maastricht sowie herrschendes EU-Recht kennen jedoch nur einen staatlichen Gesundheitsdienst oder Wirtschaftsunternehmen, aber keine Selbstverwaltungsorgane. Letztere sind de facto staatlich sanktionierte Wirtschaftsbetriebe. Die deutsche Regierung hat bei der Abfassung der Maastrichter Verträge einfach nicht dafür gesorgt, dass ihre Selbstverwaltungsorgane, die es seit den preußischen Reformen zu Anfang des 19. Jahrhunderts gibt, in den Maastrichter Verträgen berücksichtigt wurden. Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland wird also ohne Selbstverwaltungsorgane auskommen müssen.

Wo stehen nun wir Kassenärzte? Bislang wird oben beschriebene Entwicklung offenbar noch gar nicht von den Ärzten begriffen. Dabei bietet sich hier für die KVen eine großartige Chance an: Sie könnten die Kassenärzte weiterhin vertreten, wenn sie nicht mehr den öffentlich-rechtlichen Status wie jetzt haben und sich zu echten Interessenverbänden der Kassenärzte mausern. Dann könnte aus dem von den Krankenkassen so viel bescholtenem Monopol der KVen eine Wirtschaftsmacht entstehen. Die KVen können jedoch von sich aus den öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht aufgeben, dieses muss der Gesetzgeber tun.

Verstehen Sie jetzt, warum ich von Wetterleuchten sprach? Und können Sie verstehen, in welch misslicher Lage sich die Krankenkassen und ihre Vertreter befinden?

Bei uns in den alten Bundesländern gibt es viele veraltete Strukturen. Die Vereinigung Europas wird sie hinwegfegen. Dieses ist natürlich schmerzlich für einige der jetzt noch Mächtigen. Reformen bringen immer Einschnitte, und diese sind schmerzlich. Dieses ist vor 10 Jahren den Deutschen in der ehemaligen DDR so ergangen, jetzt trifft es alle Deutschen. Da hilft nur, beherzt diejenigen Reformen anzupacken, die für den Aufbau des neuen Europas notwendig und sinnvoll sind.