Aussichten für das Ambulante Operieren in Deutschland

Trübe Zukunft zur Jahrtausendwende

2000 +++ Jost Brökelmann +++ ambulantes operieren 1/2000, 40-41

Zur Jahrtausendwende hat das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 den Fachärzten und insbesondere den hochspezialisierten Fachärzten trübe Zukunftsaussichten geschaffen. Denn das Gesetz zementiert die sektorale Budgetierung und damit u.a. die Ausgaben für die ambulante Versorgung der gesetzlich Versicherten. Da gleichzeitig die Hausärzte (Allgemeinärzte, Ärzte ohne Gebietsbezeichnung, Kinderärzte und Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung) ein gesichertes Budget erhalten, werden Mehrausgaben durch Fortschritt der Medizin, Ärztezuwachs und gesteigerte Morbidität durch Epidemien voll zu Lasten der Fachärzte gehen. Nach Wunsch der Koalitionsregierung sollen also die niedergelassenen Fachärzte die Gesundheitsreform bezahlen. Diese Politik dürfte in Deutschland das Ambulante Operieren abbremsen.

Die internationale Entwicklung sieht ganz anders aus: In den fortschrittlichen Ländern wie USA, Kanada, Australien und England werden nur noch bis 25 % aller Operationen stationär durchgeführt (Brökelmann BAO-Info IV/99). Allein diese Tatsache sollte alle Gesundheitspolitiker aufwachen lassen, daß in Deutschland eine enorme Fehlentwicklung stattfindet; denn in Deutschland wird noch immer überwiegend stationär operiert.

Warum nimmt das Ambulante Operieren international zu? Einmal sind es medizinische Gründe: Die Patienten erholen sich schneller, die Komplikationsrate ist geringer und immer mehr medizinische Probleme können durch gezielte kleine Eingriffe und nicht mehr durch große Radikaloperationen gelöst werden.

Zum anderen sind es wirtschaftliche Gründe: Kleinere Betriebe können, besonders im Dienstleistungsbereich, kostengünstiger arbeiten als Großbetriebe, die eher für eine Massenabfertigung geeignet sind.

Neben medizinischen und wirtschaftlichen Gründen spielen beim Operieren Organisationsstrukturen eine wichtige Rolle. Hier liegen m. E. die eigentlichen Gründe, warum die Entwicklung hin zum Ambulanten Operieren in Deutschland so gebremst wird. Das deutsche Krankenhaus ist durch das Chefarztsystem charakterisiert. Der Chefarzt organisiert seine ganze Abteilung und delegiert Aufgaben an untergebene Ärzte und Mitarbeiter. Die Stellung des Chefarztes wird dadurch gestärkt, daß er in der Regel der Einzige ist, der privat liquidieren darf und deshalb höhere Einnahmen als aus einem Angestellten- oder Beamtenverhältnis erzielt. Von dieser Macht wollen die Chefärzte natürlicherweise nichts abgeben.

Bei einer Operation im Krankenhaus berühren sich in der Regel vier Machtbereiche: 1. Der Bereich des Chefarztes der jeweiligen Fachabteilung. 2. Der Bereich des Chefarztes der Anästhesie. 3. Der Bereich der Oberschwester bzw. des Oberpflegers. 4. Der Bereich des Verwaltungsdirektors. Eine solche Organisationsstruktur ist prädestiniert, durch Reibungsverluste an den Schnittstellen der Machtbereiche Energien zu vergeuden. Wenn dann noch der Chefarzt einer Fachabteilung nicht endoskopisch oder mikrochirurgisch operieren kann, ist es verständlich, daß er zum Erhalt seines Fachgebietes nur die von ihm beherrschten Eingriffe plant, weil er für diese Eingriffe bei Privatpatienten auch liquidieren darf.

Außer den Chefärzten gibt es noch weitere Kräfte, die ein "Abwandern" von Operationen in den Praxisbereich verhindern wollen. So möchten die Länder und Kommunen, daß die Krankenhäuser florieren, denn dieses stärkt ihre eigene Machtpositionen bei anstehenden Wahlen. Auch die Gewerkschaften wollen das Operieren am Krankenhaus belassen, da ihre Mitglieder hauptsächlich dort tätig sind und nicht in den Praxen niedergelassener Ärzte. Ferner kann man die Angst der angestellten Ärzte verstehen, die ihren Arbeitsplatz im Krankenhaus gefährdet sehen, wenn das Operieren in die Praxen abwandert.

Wir haben in Deutschland also eine großes Problem mit den althergebrachten Organisationsstrukturen unserer Krankenhäuser. Das erklärt, warum wir Ambulanten Operateure und Anästhesisten in Deutschland außer von Patienten so wenig Zustimmung erhalten. Es geht beim Ambulanten Operieren nicht nur um die Einführung von Fortschritt in der Medizin, sondern auch und gerade um die Veränderung von Strukturen im Gesundheitswesen. Deshalb kommen wir international gesehen in Deutschland nur zögerlich voran. Das ändert aber nichts daran, daß die Bewegung hin zum Ambulanten Operieren ein säkulares Phänomen ist und daß wir Deutschen über kurz oder lang durch die Umstände gezwungen sein werden, uns der neuen Bewegung anzuschließen.

Der Weg und das Druckmittel, über den das geschehen wird, ist die Vereinigung von Europa. Im neuen Europa gilt die Freizügigkeit des Waren- und Dienstleistungsaustausches. Nach europäischem Kartellrecht sind die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen Unternehmen, die den freien Dienstleistungsaustausch nicht verhindern dürfen. Allein die "gemeinsame Selbstverwaltung" von Krankenkassen und KVen verletzt europäisches Kartellrecht! Der innereuropäische Handel mit Gesundheitsgütern hat schon heute Vorrang vor nationalen, sozialen Krankenversicherungen.

Aus meiner Sicht sind die Aussichten für das Ambulante Operieren auch in Deutschland kurzfristig zwar miserabel, aber mittelfristig schon recht gut. Uns wird die internationale Entwicklung und das Kartellrecht des sich vereinigenden Europas helfen. Auch die Grundrechte der Bürger und Freiberufler werden durch die europäische Einigung an Gewicht gewinnen. Die Zeiten, in denen deutschen Sozialgerichte unsere Grundrechte vernachlässigen, um die alten Organisationsstrukturen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten (s. Beitrag Brökelmann ... ), sind hoffentlich bald vorüber. Wir müssen jedoch für unsere Freiheit, d.h. die uns im Grundgesetz zustehenden Freiheiten kämpfen.