EuGH: Urteil zur Umsatzsteuerpflicht in der Humanmedizin

Unterliegt ein ärztliches Gutachten der Umsatzsteuerpflicht?

2000 +++ Europäischer Gerichtshof (EuGH) +++ Quelle: Internet

In der Rechtssache C-384/98 erlässt der Gerichtshof (Fünfte Kammer) am 14. September 2000 folgendes Urteil (in Auszügen):

Anwendbares Recht

3.

Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie sieht vor:

„(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden“.

Zu den Vorlagefragen

14.

Die Kommission macht demgegenüber geltend, um unter die Befreiung zu fallen, müsse es sich bei der medizinischen Leistung konkret um eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin handeln. Die Vornahme anthropologisch-erbbiologischer Untersuchungen zum Zweck einer Vaterschaftsfeststellung habe jedoch weder die Vorbeugung noch die Diagnose oder die Therapie einer Krankheit zum Ziel. Es bestehe daher kein Anlass, derartige Tätigkeiten eines Arztes steuerlich anders zu behandeln als die Tätigkeit von Gerichtssachverständigen anderer Disziplinen wie von Buchprüfern, Ingenieuren oder Psychologen. Auch wenn die Tätigkeit eines Sachverständigen, der im Auftrag eines Gerichts handele, als dem Gemeinwohl dienend angesehen werden könne, reiche dies für sich genommen nicht aus, die von ihm erbrachten Leistungen nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer zu befreien.

15.

Zunächst einmal sind die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (u. a. Urteile vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 13, und vom 12. November 1998 in der Rechtssache C-149/97, Institute of the Motor Industry, Slg. 1998, I-7053, Randnr. 17).

18.

Daher kann dieser Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ nicht so ausgelegt werden, dass er medizinische Eingriffe umfasst, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden.

19.

Gemäß dem Grundsatz, dass sämtliche Bestimmungen zur Einführung einer Umsatzsteuerbefreiung eng auszulegen sind, müssen daher die Leistungen, die keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, vom Anwendungsbereich des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ausgeschlossen werden und unterliegen somit der Umsatzsteuer.

21.

Da die genannten Sachverständigenleistungen aufgrund ihrer Natur nicht von der Mehrwertsteuer befreit werden können, ist es insoweit ohne Belang, dass ein Gericht sie angeordnet hat.