Patientenrechte im Zeitalter der Informationsgesellschaft

Eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Studie zur Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten

1999 +++ Dieter Barth +++ Quelle: Ders., Mediziner-Marketing: Vom Werbeverbot zur Patienteninformation. Eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Studie zur Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten. Springer-Verlag 1999 und als Zusammenfassung in RPG 5:3/4 (1999)

Die kürzlich erschienenen Arbeiten von Dieter Barth machen deutlich:

Patientenrechte und Verbraucherschutz sind im neuen Europa viel umfassender als allgemein angenommen. Insbesondere fordert das Selbstbestimmungrecht der Bürger und Bürgerinnen eine umfassende Information vor vorgeschlagenen ärztlichen Eingriffen und Behandlungen und über die Qualifikation des Arztes bzw. der Ärzte im Krankenhaus. Erst aufgrund dieser Informationen kann/muss der Patient/die Patientin ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben.

Der Patient/die Patientin hat quasi ein Recht auf Überprüfung der Qualifikation der behandelnden Ärzte. Die Bürger können also Informationenen über den Leistungsumfang der zu wählenden medizinischen Einrichtung und die in der Vergangenheit dort vorgekommenen Komplikationensraten bei dem zu wählenden Eingriff einfordern. Dieses läuft darauf hinaus, dass jede medizinische Einrichtung jährlich Komplikationsraten für die dort durchgeführten Eingriffe zusammenstellt und veröffentlicht.

Diesen Patientenrechten stehen neue Rechte der Ärzte gegenüber, nämlich das Recht, ihre Qualifikation auch darstellen zu können. Dazu müsste die Musterberufsordnung (MBO) bezüglich der Werbung geändert werden. Die Ärzte müssen also die Bevölkerung in allen Medien über ihre Qualifikationen sachlich informieren dürfen.

Den neuen Wind fasst Barth folgendermassen zusammen: "Zu einer Informationsgesellschaft gehört auch eine Informationsmedizin".

Prof. Dr. J. Brökelmann

Auszüge aus der Arbeit:

Mediziner-Marketing: Vom Werbeverbot zur Patienteninformation

Eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Studie zur Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten

von Dieter Barth

Erschienen im Springer-Verlag 1999 und als Zusammenfassung in RPG 5:3/4 (1999)

"Entwirft man mit Blick auf diese für beide Seiten unbefriedigende Situation ein Anforderungsprofil an eine moderne Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten, so sollte dieses idealerweise zumindest die folgenden Ziele verwirklichen:

- Der Patient muß vor irreführender 'Werbung' geschützt werden, die seine besondere Situation ausnutzt.

- Der Patient muß Informationen erhalten können, die ihm eine selbstbestimmte und freie Arztwahl ermöglichen sowie ihn vor weniger qualifizierten Ärzten schützen.

- Dem Arzt soll eine sachliche, überprüfbare Darstellung seiner Tätigkeit in der Öffentlichkeit möglich sein.

- Das gesamte Leistungsangebot des Gesundheitsmarktes soll gleichermaßen für Patienten und Ärzte transparent sein."

"Unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten wird daher im Grundsatz ein völlige Werbefreiheit für Ärzte befürwortet. Es gelten nur die allgemeinen Beschränkungen des Wettbewerbsrechts."

"Werbung wird als wirtschaftliches Grundrecht der Meinungsäußerung eines jeden Angehörigen der freien Berufe verstanden. Dem Arzt steht ein im Grundsatz unbeschränktes Recht zu, die Öffentlichkeit über seine Tätigkeit zu informieren. Gleichzeitig hat auch der Patient als Verbraucher ein Grundrecht, sich über die für ihn interessante Tätigkeit eines Arztes zu informieren."

"Die Europäische Union hat weder die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten noch das Berufsrecht der freien Berufe vereinheitlicht. Aus diesem Grunde ergeben sich erhebliche Unterschiede bei den ärztlichen Werbevorschriften. Deutschland gehört dabei zu den Ländern, in denen noch sehr starke Restriktionen herrschen. Einige andere europäische Staaten wie z.B. Österreich oder Großbritannien haben dagegen schon ihre ärztlichen Werbevorschriften gelockert."

"Zum Gesundheitsschutz gehört auch der nunmehr in Art. 153 EGV geregelte Verbraucherschutz. Verbraucherschutz ist nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofes die umfassende Information eines mündigen Konsumenten. Der Werbung kommt eine wichtige Rolle bei der Information der Verbraucher sowie für die Integration der europäischen Märkte zu."

"Das Arzt-Patient-Verhältnis ist nicht länger vom Paternalismus geprägt, sondern von der Idee der Patientenautonomie. Der Patient soll aktiv an der Behandlung beteiligt werden. Er soll in jeder Phase des Kontaktes mit einem Arzt selbstbestimmte Entscheidungen treffen können. Dies hat auch einen Wandel in der Kommunikation bewirkt: Aus dem geheimnisvollen Schweigen ist ein offener Informationsaustausch geworden. Dem mündigen Staatsbürger entspricht der mündige Patient, obschon dies viele Ärzte wegen der fehlenden Fachkompetenz und der geschwächten Position des Patienten nicht wahrhaben wollen. Die Gleichberechtigung des Patienten hat ihren Niederschlag in Patientenrechten gefunden."

"Beachtung der Menschwürde, Selbstbestimmung, Information, Vertraulichkeit, Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie Qualitätssicherung gehören zu den zentralen Grundpfeilern in einem modernen Gesundheitswesen."

"Eine herausragende Stellung unter den Patientenrechten nimmt das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht ein. Dieses behält dem Patienten die alleinige Entscheidung zunächst über den Behandler und dann über die Behandlung vor. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfaßt sowohl die freie Entscheidung über die Wahl des Arztes als auch über den ärztlichen Eingriff. Die freie Arztwahl im Arzt-Patient-Verhältnis ist streng zu unterscheiden von der freien Arztwahl im Verhältnis zur Krankenversicherung als Kostenträger. Dabei geht es nicht um Selbstbestimmung, sondern um die Übernahme der Behandlungskosten für den vom Versicherten gewählten Arzt. Die Freiheit der Entscheidung ist bei der selbstbestimmten Arztwahl wie bei Einwilligung nach Aufklärung nur gewahrt, wenn der Patient auf eine für ihn verständliche Weise über die Wahlmöglichkeiten informiert wird. Patienteninformationen über den Behandler und die Behandlung ist die unverzichtbare Basis für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts."

"Überträgt man die Anforderungen an das Selbstbestimmungsrecht, die für Aufklärung und Einwilligung gelten, auf die vorgeschaltete Phase der Arztwahl, so müssen dem Patienten Informationen über den Arzt zur Verfügung gestellt werden. Diese umfassen zunächst Informationen über die Quantität und die Qualität des diagnostischen und therapeutischen Leistungsangebotes. Der Patient muß einen Eindruck vom spezifischen Risikoprofil und der Risikostruktur des Arztes gewinnen können. Unterschiede in der Qualität zwischen den einzelnen Anbietern müssen für den Patienten vergleichbar und bewertbar sein. Dies gilt besonders dann, wenn aus Sicht des Patienten formal gleich qualifizierte Ärzte unterschiedliche Risikoprofile haben."

"Die gegenwärtige Auslegung der MBO-Ä verhindert, daß der Patient Informationen über verschiedene Qualitätsniveaus und Qualitätsprofile der Ärzte bekommen kann."

"Es geht dem ärztlichen Standesrecht nicht um gezielte, individuelle Patienteninformation, sondern um Konkurrenzschutz durch die Fiktion einer scheinbar qualitativen Gleichwertigkeit aller Ärzte."

"Die Werberegelungen in der ärztlichen Musterberufsordnung sind folglich als ein systematischer und systemwidriger Eingriff in das Patientengrundrecht auf freie Arztwahl zu bewerten. Das Informationsinteresse des Patienten wird im Grundsatz komplett ignoriert."

"Freie Arztwahl ist sowohl ein Individualgrundrecht als auch ein Sozialgrundrecht des Patienten."

"Das Gesundheitswesen der Zukunft verlangt einen mündigen, informierten, mitbestimmenden und selbstbestimmten Patienten."

"Die drei Kernelemente eines modernen Qualitätsmanagementsystems, nämlich Kundenorientierung, qualitätsbezogene Teamarbeit und Dynamik, fehlen bei der medizinischen Qualitätssicherung fast vollständig. Im ambulanten Bereich, für den eine eingeschränkte eigene und fremde Kontrollmöglichkeit bei einzeln praktizierenden Ärzten typisch ist, fehlen Qualitätssicherungsmaßnahmen, die sich auf die Beurteilung des konkreten ärztlichen Handelns beziehen."

"Im Zeitalter der Informationsgesellschaft muß Werbung nicht besonders laut schreien, sondern Schlüsselinformationen in hochverdichteter Form bieten."

"Die deutsche Rechtsprechung verkennt zudem das moderne Konzept von Verbraucherschutz auf der Grundlage einer möglichst umfassenden Verbraucherinformation."

"Wettbewerb kann nur eine optimale medizinische Versorgungsqualität garantieren, nicht aber eine gleichmäßige Verteilung, wie sie das Sozialstaatsprinzip wünscht."

"Patienten schätzen informative Werbung, während sich Ärzte mit Werbung grundsätzlich schwertun. Patienten erwarten von einem Arzt Eigenschaften wie Vertrauen, Zuhören und Zeit."

"Die Gestaltung einer patientenorientierten Informationsmedizin hat ihre Basis in den kommunikativen Patientengrundrechten. Kommunikation dient vornehmlich der Selbstbestimmung des Patienten. In jeder Phase eines Arztkontaktes soll der Patient Herrschaft über das Geschehen auf der kommunikativen Seite haben. Dazu muß es stets zu einem Informationsaustausch kommen, der ihn in die Lage versetzt, eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. Dies gilt sowohl für die Wahl des Arztes als auch für die Wahl einer bestimmten Behandlung. Die Patienteninformation richtet sich bei der freien Arztwahl insbesondere auf die Qualität des Arztes. In ihr liegen die entscheidenden Risikofaktoren, die sich bei der späteren Behandlung positiv oder negativ für den Patienten auswirken können. Trotz gravierender Qualitätsdefizite hat der Patient bislang praktisch keinerlei Informationen über den Stand der Qualität bei dem von ihm gewählten Arzt. 'Werbung' im Sinne einer Patienteninformation kann über Qualitätsaspekte informieren."

"Jedem Gesundheitsversorger muß es unabhängig von seiner Rechtsform möglich sein, über sein gesamtes medizinisches Leistungsspektrum zu informieren. Dies gilt insbesondere für die medizinisch-apparative Praxisausstattung und sonstige Einrichtungsmerkmale der Praxis."

"Zu einer Informationsgesellschaft gehört auch eine Informationsmedizin."