Gesundheitssystem 1993

Die Probleme des deutschen Gesundheitswesens sind schon lange bekannt

1993 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: Ambulantes Operieren – Der neue Weg in der Gynäkologie. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1993, 90-91

Unser Gesundheitssystem ist relativ streng in 2 Bereiche aufgegliedert, den ambulanten Bereich, den die niedergelassenen Ärzte versorgen, und den stationären Bereich der Krankenhäuser.

Jeder Bereich gleicht einem Selbstbedienungsladen ohne Preisschilder: Der Patient kann in der Regel so lange im Krankenhaus liegen wie er will, er kann auch gewisse Gesundheits-Leistungen fordern ("ich möchte noch einen Hormonstatus haben", "kann ich nicht noch länger arbeitsunfähig geschrieben werden?"); Krankenhausbetten werden belegt, indem "diagnostische Fälle" abgeklärt werden (s. Beispiel 2, Kapitel 2), Patientinnen werden im Krankenhaus gehalten, bis "Ergebnisse" eingetroffen sind und besprochen werden können; Kassenärzte rechnen Leistungsziffern ab, deren Inhalt nicht voll erbracht wurde.

Dieses System funktioniert, solange der Patient kein Interesse daran hat, für sein Geld (Krankenkassenbeiträge, Steuern) gute Leistung zu erhalten. Dazu muß er erst einmal wissen, was seine Behandlungen im Krankenhaus oder beim Arzt kosten. Wenn er dann auch noch an den Kosten beteiligt wird, wird sein Eigeninteresse geweckt sein: Erst wenn es ums eigene Geld geht, wachen viele Menschen auf. Wir sehen es doch an den Beihilfe-Empfängern, die wegen einiger nicht-vergüteter D-Mark lange Briefe schreiben. Die Rechnungen der Ärzte und Krankenhäuser kann nur der unmittelbar betroffene Patient richtig kontrollieren, denn nur er weiß, was der Arzt bei ihm durchgeführt hat. Dieses läuft darauf hinaus, daß wir den Patienten als mündigen Bürger anerkennen müssen: Warum soll ein Patient nicht eine Krankenhausrechnung über DM 12.000,-- sehen und kontrollieren dürfen, wenn er selbst Kaufverträge über ein Auto von DM 50.000,-- unterzeichnet? Warum sollten Kassenpatienten nicht ebenso eine Rechnung über ärztliche Leistungen erhalten wie Postbeamte? Warum sollten sie an den von ihnen verursachten Kosten nicht beteiligt werden? Eine wahre Kostendämpfung ist nur mit einem mündigen Patienten möglich.

Eine zukunftsweisende Medizin muß m.E. auf folgenden Prinzipien aufbauen:

1. Der Patient ist mündig. Er ist an der eigenen Heilung aktiv beteiligt, wie es z.B. beim ambulanten Operieren geschieht. Er kontrolliert die Arzt- und Krankenhausrechnungen. Als Anreiz für wirtschaftliches Handeln wird ein Bonus/Malus-System für Patienten (Eigenbeteiligung) eingeführt.

2. In der Medizin gebrauchen wir nicht mehr von der heutigen Planwirtschaft, sondern mehr freie Wirtschaft. Wir haben gesehen, wohin staatliche Lenkung im Osten geführt hat. Aus dem Zusammenbruch der Planwirtschaft sollten wir den Schluß ziehen, daß auch die Planwirtschaft im Gesundheitswesen (Betten-, Krankenhausplan) zugunsten marktwirtschaftlicher konkurrierender Systeme weichen muß. So sollte z.B. für die gleiche operative Leistung auch ein gleiches Honorar bezahlt werden unabhängig davon, wo die Leistung erbracht wurde, im Krankenhaus oder in der Tagesklinik. Wenn die Patientin dann im Krankenhaus für eine Abrasio mehr zahlen muß als in der Praxis, weil sie im Krankenhaus auch Kost und Logis in Anspruch nimmt, dann werden voraussichtlich die ambulant erbrachten Operationen bevorzugt werden.

3. Die operative Praxis/Tagesklinik wird die 3. Säule im Gesundheitssystem neben der herkömmlichen Arztpraxis und dem Krankenhaus werden. Denn die Leistungen sind in einer kleinen Einheit wie der Tagesklinik kostengünstiger zu erbringen als in der Hierarchie eines Krankenhaussystems.